08.04.2022 - Die eigene Mitte finden
... Der Erfolg gibt einem ja recht und nimmt kritischen Einwürfen den Wind aus den Segeln. Es gilt das Motto: „Never change a winning team.“ Wer Erfolg hat, neigt dazu, an bewährten Abläufen festzuhalten und ist innovativen Ideen gegenüber eher reserviert. Und im Erfolg lauert die Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren und aus dem inneren Gleichgewicht zu geraten. Man ist von Schulterklopfern umgeben, die jedoch immer auch eigene Interessen verfolgen und nicht unbedingt hilfreich sind, um Situationen realistisch einzuschätzen.
Am Palmsonntag erinnert sich die Kirche an den Einzug Jesu in Jerusalem. Der ist ein schönes Beispiel für diesen Mechanismus. Jesus steht – so könnte man sagen – am Höhepunkt seines Erfolges. Er wird von den Menschen gefeiert und in einem spontanen Triumphzug als König empfangen. Ihr Jubel ist freilich mit großen Erwartungen verbunden. Sie wollen Jesus für ihre Anliegen instrumentalisieren. Doch Jesus verliert nicht den Boden unter den Füßen. Er setzt sich nicht auf das hohe Ross sondern auf einen jungen, wackeligen Esel. Jesus bleibt ganz bei sich selbst und zeigt unmissverständlich: Ich bin nicht da, um eure Erwartungen zu erfüllen. Stattdessen geht er zielstrebig auf dem Weg voran, den Gott ihm ins Herz geschrieben hat – einen Weg, der menschlich betrachtet ein katastrophaler Misserfolg ist, tatsächlich aber in ein ganz neues, unvergleichlich größeres Leben einmündet.
Für mich persönlich ist das Snowboarden eine gute Übung, um die eigene Mitte zu finden. Da spüre ich sofort, wenn ich unausgeglichen, überfordert oder von meinem Wesen entfremdet bin. Denn dann bin ich auf dem Brett – ebenso wie im Leben – nur ein hilfloser Passagier. Mehr als alles andere zählt am Snowboard, in der Balance zu sein. Solange ich nicht im Gleichgewicht bin, werfen mich schon kleinste Unebenheiten aus der Bahn. Wenn ich aber meine Mitte gefunden habe, dann hält das Board sicher die Spur und schneidet durch jeden Schneemugel wie ein warmes Messer durch die Butter. Dann heben sich Schwerkraft und Fliehkraft gegenseitig auf und es tritt ein Zustand völliger Schwerelosigkeit und Entspanntheit ein. Dann zählt nicht mehr der Erfolg, sondern das Glücksgefühl des Augenblicks.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
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