Fußball im postfaktischen Zeitalter
... Auffallend ist, dass just wenige Tage vor dem Anpfiff zum größten Sportspektakel der Welt sich plötzlich namhafte Proponenten wie Ex-FIFA-Präsident Sepp Blatter bemüßigt fühlen, sich von der Wahl Qatars zu distanzieren. Eine äußerst späte Einsicht.
Es bleibt der schale Beigeschmack bei diesem Wintermärchen wie aus Tausend-und-eine-Nacht: Ein Scheich, der nicht weiß, wohin mit seinem unermesslichen Reichtum, kauft sich eine Fußball-WM. Doch so einfach und märchenhaft ist die Sache eben nicht. Es steckt schon eine langfristige Strategie dahinter. Das kleine aufstrebende Emirat am Persischen Golf sucht seinen Platz in der Welt und unternimmt alles, um auf sich aufmerksam zu machen und sich ein strahlendes Image aufzubauen. Die weltweite Popularität des Fußballs bietet dafür eine willkommene Plattform. Eine effiziente Propagandamaschinerie und Message-Control, die mit geheimdienstlichen Methoden eine kritische Berichterstattung erschwert oder unterbindet, soll den Eindruck eines ungetrübten Fußballfestes entstehen lassen. Perfekte Bilder und ein glänzender Schein sind wichtiger als die Wirklichkeit. Man schafft – wie das heute so schön heißt – alternative Fakten.
Für den Fußball-Fan bleibt die Frage: Soll man trotzdem zuschauen oder die dubiose WM ignorieren? Der fußballaffine Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold sagt: „Der Fußball muss so gut es geht aus dem Würgegriff von Politik und rein ökonomischen Interessen befreit werden.“ Er hält nichts vom Boykott. Wie kann nun, wenn der Ball zu rollen beginnt, der sportliche Aspekt in den Vordergrund rücken? Im Fußball gelten gottlob immer noch die Regeln: Schiedsrichterentscheidungen sind Tatsachenentscheidungen. Und: Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Aber, wer weiß? Vielleicht hat ja der allmächtige Emir in seiner Vorsehung auch den künftigen Weltmeister längst festgelegt?
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
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