Diplomatie auf dem grünen Rasen
So zeigten die iranischen Journalisten auch wenig Interesse an fußballtaktischen Details, sondern wollten die Meinung der Amerikaner zu politischen und militärischen Kontroversthemen erfragen.
Während der Teamchef der US-Boys Gregg Berhalter ausweichend und eher ungeschickt zur Antwort gab, er sei bloß ein Fußballtrainer und verstehe nichts von Politik, ließ der junge Mannschaftskapitän Tyler Adams mit einem klugen und mutigen Auftritt aufhorchen, der großen Respekt verdient. Anfangs entschuldigte er sich dafür, dass er – nachdem ein iranischer Reporter ihn deswegen sehr ungehalten zurechtgewiesen hatte – den Namen „Iran“ falsch ausgesprochen hatte. Dann wurde er über das Problem des Rassismus in den USA befragt und gab eine äußerst bemerkenswerte Antwort: „Diskriminierung gibt es überall. Aber eines habe ich in den letzten Jahren, in denen ich im Ausland in anderen Kulturen gelebt habe, gelernt: In den USA machen wir jeden Tag Fortschritte. Ich bin in einer weißen Familie aufgewachsen – mit offensichtlich afroamerikanischer Herkunft. Ich habe früh verschiedene Kulturen miterlebt und deshalb fällt es mir leicht, mich anzupassen. Nicht jeder hat diese Leichtigkeit und die Fähigkeit, sich so schnell zu integrieren. Offensichtlich dauert es auch manchmal länger, bis man es versteht. Daher braucht es Erziehung. Die Bildung ist super wichtig. So, wie Sie mich gerade aufgeklärt haben, dass ich ihr Land falsch ausspreche. Das ist ein Prozess und das Wichtigste ist, dass man einen Fortschritt sieht.“
Viele reagieren inzwischen schon recht genervt auf die gesellschaftspolitischen Themen, die diese WM überlagern, und fordern, dass ausschließlich über Fußball gesprochen wird. Tyler Adams hat auf höchst sympathische Art gezeigt, dass man auch anders, nämlich konstruktiv und differenzierend damit umgehen kann, und er hat einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass eine Fußball-WM ein völkerverbindendes Ereignis sein kann. Während die Superstars Messi und Lewandowski auf dem Rasen schon Elfmeter verschossen haben, hat Adams diesen diplomatischen Elfer souverän verwandelt. Die Spieler der USA und des Iran sind sich auf dem Spielfeld übrigens auffallend respektvoll, ja fast freundschaftlich begegnet.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
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